Veranstaltung: | BAG Sitzung 21.-23. Februar 2020 |
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Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 11.02.2020, 10:22 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A4NEU: „EUROPA“ UND „EUROPÄISCHE UNION“ BESSER UNTERSCHEIDEN
Antragstext
Der Begriff "Europa" beinhaltet für uns Grüne die Vision einer friedlichen
Zukunft des Kontinents: die Verwirklichung von Menschenrechten, Demokratie und
sozialer Gerechtigkeit sowie die Überwindung von Spaltungen, Konflikten und
Kriegen. Zusammen mit vielen anderen arbeiten wir daran, diese
Zukunftsvorstellung zu realisieren.
Die Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“ (EU) müssen im Grundsatzprogramm
und in zukünftigen Wahlprogrammen je nach Bezugnahme konsequent unterschieden
werden, sie dürfen nicht pauschal gleichgesetzt werden. Dies gilt ebenso für die
Adjektive „europäisch“ und „paneuropäisch“: wenn es um die EU geht, müssen
jeweils differenzierende Formulierungen verwendet werden wie z.B. „EU-Ebene“,
„EU-weit“ oder „im Rahmen der EU“. Der utopische Überschuss und der Identität
stiftende Aspekt des Europa-Begriffs können z.B. durch Bezeichnungen wie „EU-
Europa“ oder EU-europäisch“ einbezogen werden.
In Eigennamen kann das Adjektiv „europäisch“ wie üblich verwendet werden: „das
Europäische Parlament“, „die Föderale Europäische Republik“. - Nach dem Austritt
Großbritanniens aus der EU ist die Gleichsetzung der Begriffe „Europa“ und
„Europäische Union“ noch weniger angemessen als vorher schon.
Denn Europa ist mehr als die EU mit ihren jetzt 27 Staaten. Der Europarat hat 47
Mitgliedstaaten, Weißrussland ist - wegen der Todesstrafe - seit 1993 nur
Beitrittskandidat. Zu den 21 Nicht-EU-Staaten des Europarats gehören sehr kleine
Staaten wie Andorra, Monaco, San Marino und Liechtenstein sowie mittlere Staaten
wie Norwegen und die Schweiz. Einige der 21 durch die Gleichsetzung von „Europa“
und „EU“ übergangenen Staaten haben intensive Beziehungen zur EU bzw. sind
Beitrittskandidaten. Die bedeutendsten Nicht-EU-Staaten des Europarats sind
Großbritannien und Russland.
Wir Grünen wollen die Vertiefung und Verbesserung der EU hin zu einer Föderalen
Europäischen Republik. Auch die gemeinsamen, über die EU hinausreichenden
europäischen Institutionen wie die Organisation für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa (OSZE) oder den Europarat wollen wir unterstützen. Und
wir wollen neue Wege der Kooperation und der Solidarität im gesamten Europa
entwickeln, mit der Perspektive, auch durch neue Vertragswerke alle europäischen
Staaten einzubinden.
Die Metapher „das europäische Haus“ darf nicht auf die Europäische Union verengt
werden. Dieses sprachliche Bild, von Gorbatschow am Ende des Kalten Krieges
verwendet, um die Überwindung des Gegensatzes von NATO und Warschauer Pakt in
den Blick zu nehmen und um die Idee einer friedlichen Zukunft Europas unter
Einschluss Russlands zu formulieren, sollte auch weiterhin die Zielsetzung einer
Überwindung der Konflikte und Spaltungen im gesamten Europa ausdrücken, auch
wenn insbesondere die Gegensätze zu Russland zur Zeit unüberwindbar erscheinen
mögen.
Denn Sprache schafft Wirklichkeit. Sprache kann den Raum offen halten und neu
öffnen, damit für alle Europäer*innen die Vision einer gemeinsamen Zukunft in
einem demokratischen und friedlichen Europa Wirklichkeit werden kann.
Begründung
Begründung (aktuell)
Eine erfreuliche Nachricht gibt es zu meinem Antrag zum Thema Europa - EU, der auf der letzten BAG-Sitzung aus Zeitgründen nicht mehr behandelt wurde. Ich habe den Antrag in überarbeiteter Form zusammen mit anderen als BDK-Antrag eingereicht (V-50). Der Antrag wurde auf der BDK nicht behandelt, da er nicht als vorrangig gevotet wurde. Aber der BuVo hat auf den Antrag reagiert und schreibt: "Denn Ihr habt mit Eurer Forderung nach einer stärkeren sprachlichen Differenzierung zwischen der EU und Europa recht." (siehe unten die Mail von Michael Kellner).
Unabhängig von dieser allgemein positiven Reaktion aus dem BuVo möchte ich den Antrag (nochmals von mir etwas überarbeitet) in der Sitzung vorstellen mit dem Ziel der Beschlussfassung. Denn die konkrete Umsetzung der stärkeren sprachlichen Differenzierung muss noch erfolgen.
Zeitdauer: 1 Stunde
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-----Original-Nachricht-----
Betreff: Dein V-50
Datum: 2019-12-19T09:19:49+0100
Von: "Büro Kellner" <buero.kellner@gruene.de>
An: "u.hertel-lenz@t-online.de" <u.hertel-lenz@t-online.de>
Liebe Ursula,
wir bedauern, dass Euer Antrag bei der BDK nicht gevotet und
entsprechend nicht beschlossen wurde. Denn Ihr habt mit Eurer Forderung
nach einer stärkeren sprachlichen Differenzierung zwischen der EU und
Europa recht. Das ist uns, wie Ihr aufzeigt, im Zwischenbericht zum
Grundsatzprogramm noch nicht gut gelungen. Für den ersten Entwurf
Grundsatzprogramm wollen wir uns als BuVo das zu Herzen nehmen und es
besser machen.
Herzliche Grüße und besinnliche Feiertage
Michael
Michael Kellner
Politischer Geschäftsführer von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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Begründung (inhaltlich)
Im Zwischenbericht zum Grundsatzprogramm werden die Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“ (bzw. „EU“) sowie „europäisch“ und „EU-weit“ stellenweise synonym verwendet, besonders im ersten Teil des Kapitels „Grundsätze einer gerechten und friedlichen Weltordnung“ (S. 31 – 36).
Diese - stellenweise - Gleichsetzung von „Europa“ und „EU“ bzw. „europäisch“ und „EU-weit“ im Grundsatzprogramm – oder auch in einem Wahlprogramm - ist keine Frage des Stils oder der gefälligen, weil abwechslungsreicheren Formulierungen. Mit einer Gleichsetzung wäre implizit der Anspruch verbunden, dass die EU mit ihren 27 Staaten das eigentliche Europa ist und die restlichen 21 Nicht-EU-Staaten weniger oder nichts zählen, ähnlich wie Trump in den Slogans „America First“ und „Make America great again“ den Begriff „America“ für die USA beansprucht. Korrekt müsste es jeweils heißen: „the United States of America“. Die anderen Staaten des amerikanischen Kontinents werden implizit für unbedeutend erklärt.
In den 50ern/ 60ern des vorigen Jahrhunderts sagte man in der Bundesrepublik - oft bewundernd - „in Amerika“ und meinte die USA. Dies zeigte die Bedeutung der USA in der Welt; die anderen Staaten des amerikanischen Kontinents spielten keine Rolle. - Ähnlich wie die Wörter „US-amerikanisch“ und „US-Amerikaner*in“ könnten die Formulierungen „EU-europäisch“ und „EU-Europäer*in“ zur Differenzierung beitragen.
An der Europäischen Union wird - besonders von rechts - die Kritik vorgebracht, sie sei ein „seelenloses“Bürokratiemonster und mache als angeblich „dürres“ Rechtsgebilde absurde „gängelnde“ Vorschriften. Es wäre keine geeignete Lösung, dieser Kritik begegnen zu wollen, indem korrekte Begriffe wie „Europäische Union“ oder „EU-Ebene“ stellenweise vermieden und durch anscheinend gefälligere – weniger „bürokratische“ - Bezeichnungen wie „Europa“ bzw. „europäisch“ ersetzt werden. Denn durch die fehlende Differenzierung werden Staaten Europas als weniger bedeutend übergangen oder sogar aus Europa ausgegrenzt.
Im Folgenden werden einige Zitate aus dem Zwischenbericht angeführt:
- Gleichsetzung der Begriffe „Europa“ und „Europäische Union“
Beispiel 1: Gleichsetzung Europas mit der EU und (nur) einem Teil der europäischen
Nicht-EU-Staaten
„Nie waren die Menschen in Europa so frei und sicher wie heute.“ (S. 32, Unterstreichungen U.H.)
„Europa“ kann hier nur bedeuten: die EU und Länder wie Norwegen, San Marino oder die Schweiz, aber nicht die Ukraine (> Krim), Weißrussland oder Russland.
Beispiele 2 und 3: Gleichsetzung Europa – EU
„Außerdem wollen wir die demokratische Mitbestimmung der Bürger*innen in Europa stärken, damit Instrumente wie die Europäische Bürgerinitiative mehr Durchschlagskraft entfalten können.“ (S. 32, Unterstreichung U.H.)
Die Europäische Bürgerinitiative ist bekanntermaßen ein Instrument der EU. -
Im Abschnitt: „Die Europäische Union muss weltpolitikfähig werden“ heißt es:
„… muss die EU weltpolitikfähig werden. … Dafür muss Europa zu mehr strategischer Souveränität gelangen … Das gilt besonders im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.“ (S. 34, Unterstreichung U.H.)
Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik bezieht sich nur auf die EU.
2. Gleichsetzung von „europäisch“ und „EU(-weit)“
Stellenweise wird das Adjektiv „europäisch“ zur Unterscheidung zwischen der EU-Ebene und der Ebene des Nationalstaats verwendet:
„Militärische Parallelstrukturen und Überkapazitäten werden durch eine Umschichtung nationaler Mittel auf die europäische Ebene abgebaut.“ (S. 35, Unterstreichung U.H.)
„… des gemeinsamen europäischen Hauptquartiers in Brüssel.“ (S. 35, Unterstreichung U.H.)
Die Verwendung von „europäisch“ im Unterschied zu „nationalstaatlich“ kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass es sich gewissermaßen um (politische) Umgangssprache handeln würde, ähnlich wie in dem Spruch: „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa“. Denn in einem programmatischen Text muss klar zum Ausdruck kommen, dass nur von einem EU-„Hauptquartier“ die Rede ist und dass die große Aufgabe, durch neue Vertragswerke - etwa im Rahmen der OSZE - tatsächlich alle europäischen Staaten einzubinden, noch gelöst werden muss.
Auch in der Formulierung:
„… braucht es … ein einheitliches europäisches Asylsystem, das die Verantwortung innerhalb der EU … fair verteilt.“ (S. 39), ist tatsächlich ein EU-weites „Asylsystem“ gemeint.
Im Kapitel „Für eine Weltinnenpolitik mit den Vereinten Nationen“ heißt es:
„Mit einer immer stärker werdenden EU verfolgen wir das Ziel einer Weltinnenpolitik im Rahmen der Vereinten Nationen. Ein logischer Schritt wäre ein europäischer Sitz im Sicherheitsrat.“ (S. 42)
Gemeint ist vermutlich ein gemeinsamer Sitz der EU (was nach jetzigem Stand wohl bedeuten würde, dass GB und Frankreich ihre Sitze abgeben müssten). Die Formulierung „europäischer Sitz“ blendet die 20 Nicht-EU-Staaten des Europarats aus, insbesondere Russland, das ebenfalls Mitglied im Sicherheitsrat ist.
3. Verengung von „paneuropäisch“ zu „EU-weit“
Im Unterkapitel „Von der Europäischen Union zur Föderalen Europäischen Republik“ heißt es:
„… ist es notwendig, eine europäische Öffentlichkeit, einen Kommunikationsraum für alle Europäerinnen und Europäer zu schaffen. … Wir brauchen einen paneuropäischen Diskurs über europäische Themen.“ (S. 32)
Der kurze Absatz endet mit Verweis auf die Europäische Bürgerinitiative, d.h. – wie auch durch die Überschrift nahe gelegt – der Kontext ist verengt auf die EU. „Paneuropäisch“ bedeutet aber laut Duden: „gesamteuropäisch“, auf wortbedeutung.info heißt es: „ das gesamte Europa betreffend“.
4. Die EU „als Kontinent“
„Die EU sollte sehr viel stärker auf militärische Zusammenarbeit und Koordinierung setzen, um als Kontinent [!] stärker europäische strategische Interessen – gerade innerhalb der NATO – vertreten zu können …“ (S. 36, Unterstreichungen U.H.).
Hier wird sogar der geografische Begriff Europas explizit mit dem der EU gleichgesetzt.
5. Die unklare Verwendung der geografischen Bezeichnung „osteuropäisch“
Im Kapitel „Neue Bewegung für Abrüstung“ heißt es zu Beginn:
„Eine große Gefahr liegt in einer neuen Aufrüstungsspirale wie zu Zeiten des Kalten Krieges, wieder in Europa. Wir nehmen die Sicherheitsbedenken unserer osteuropäischen Nachbarn ernst.“ (S. 36)
Das „Wir“ in „unsere“ ist nicht eindeutig. Wenn „wir Deutschen“ gemeint sind, geht es um die östlichen EU-Staaten wie Polen oder Lettland. Oder sind auch östliche EU-Anrainerstaaten gemeint?
Dass Russland nicht zu „unseren osteuropäischen Nachbarn“ gezählt wird, macht der Verweis auf deren „Sicherheitsbedenken“ wegen „einer neuen Aufrüstungsspirale“ indirekt deutlich. Wozu gehört es dann? Osteuropa endet nicht an der russischen Westgrenze.
6. Die Verengung der Metapher „das europäische Haus“ auf die EU
Unter der Überschrift: „Von der Europäischen Union zur Föderalen Europäischen Republik“ (S. 31) heißt es:
„… müssen wirdie Fundamente des europäischen Hauses erneuern.“ (S. 32, Unterstreichung U.H.)
Mit dem Begriff „europäische[s] Haus“ ist offenbar die EU gemeint, denn nicht nur in der Überschrift, sondern auch im folgenden Absatz geht es um „eine stetige Vertiefung und Verbesserung der EU“ (S. 32, Hervorhebung im Original).
Am Ende des Kalten Krieges bedeutete das Bild vom „gemeinsamen Haus Europa“, dass Russland Teil Europas ist. Heute ist die Rede von einem neuen Kalten Krieg, insbesondere seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 und wegen der andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen im Osten der Ukraine, in die Russland aktiv involviert ist.
Dennoch – oder gerade deswegen – ist es notwendig, in der Sprache den Raum offen zu halten und neu zu öffnen für die Vision eines friedlichen Europas, das alle Europäer*innen einschließt.
Kommentare
Dominik Reich:
Inwieweit ist denn die Thematik bzw. der Antrag einmal mit mit der BAG Europa diskutiert worden?
Grüsse
Ursula Hertel-Lenz:
eine Diskussion mit der BAG Europa gab es nicht. - Ich habe den Antrag (BDK-Antrag V50) zusammen mit dem Brief von Michael Kellner (s.o.) über den Verteiler der BAG Europa gesendet. - Auf der Grundsatzakademie der BAGen im Sommer habe ich in einem Workshop der BAG Europa das Thema kurz angesprochen.
Viele Grüße
Ursula