Veranstaltung: | BAG Sitzung 21.-23. Februar 2020 |
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Antragsteller*in: | Jan Schierkolk (KV Frankfurt) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 13.02.2020, 17:59 |
A11: Iran-Krise und Tötung Soleimanis als Wendepunkt nehmen hin zu friedensfähiger Bündnispolitik und Transatlantizismus, der seinen proklamierten Werten entspricht
Titel
Antragstext
Am 3.1.2020 wurde der prominente General und Befehlshaber der Al-Quds-Brigaden,
d.h. des Auslandsarmes der iranischen Revolutionsgarden, Qasem Soleimani, durch
einen US-amerikanischen Drohnenangriff getötet. Präsident Trump selbst hatte den
Angriff anscheinend schon vor längerer Zeit persönlich authorisiert. Trotzdem
rechtfertigten er selbst, sowie Mitglieder seiner Administration, ihn zunächst
mit einer angeblich zentralen Rolle Soleimanis bei unmittelbar bevorstehenden
Angriffen auf US-Personal und/oder Einrichtungen, sowie auf europäische
Verbündete - d.h. mit dringend nötiger Selbst- bzw. Bündnisverteidigung. Später
wurden diese Aussagen relativiert, jedoch weder klar zurückgenommen, noch
belegt.
Es besteht die Möglichkeit, dass dieser Drohnen-Angriff, wie auch viele weitere,
unter essentieller Beteiligung von US-Infrastruktur in Deutschland erfolgte.
Militärstützpunkte wie z.B. der in Rammstein beherbergen insgesamt mehrere
zehntausend Soldat*innen, dienen als logistische Drehkreuze der USA inkl. für
ihre Operationen im Mittleren und Nahen Osten, und vielen Berichten zufolge auch
mindestens als Relaisstationen für den Betrieb von außerrechtlichen
Tötungsoperationen dort und in Afrika. Anscheinend erhebliche Teile der US-
amerikanischen Infrastruktur zur versuchten Totalüberwachung jeglicher
Kommunikation befinden sich ebenfalls in Deutschland, scheinbar tlw. in
Kooperation mit deutschen Stellen betrieben. Neben der routinierten eklatanten
Verletzung der Privatsphäre von Milliarden Menschen rund um die Welt dienen
diese Aktivitäten auch der – oft zudem fehlerhaften – Identifizierung von Zielen
des Tötungsprogrammes.
Wir erkennen an, dass Qasem Soleimani – der im Iran ein großer Volksheld und
Machtfaktor war - über die letzten Jahrzehnte eine tragende Rolle bei der
rücksichtslosen Ausbreitung iranischer Macht in der Region, und dabei auch
direkt oder indirekt dem Tod vieler oft unschuldiger Menschen spielte. Seine
Tötung war dennoch nicht zu rechtfertigen: Erstens schien sie jeder belegbaren
bzw. belegten rechtlichen Grundlage zu entbehren. Und zweitens war sie dazu
geeignet, einen spätestens seit der US-amerikanischen Aufkündigung des
Atomabkommens mit dem Iran (JCPOA) sich dramatisch verschärfenden Konflikt
vollends eskalieren zu lassen. Der Ausbruch eines unkalkulierbaren und schwer
eindämmbaren Regionalkrieges hätte leicht die Folge sein können, mit
dramatischem erwartbaren Verlust an Menschenleben, sowie schweren Folgen für
Umwelt und Weltwirtschaft.
Dass es hierzu nicht gekommen ist, ist im Vergleich eher iranischer als US-
amerikanischer Zurückhaltung zuzuschreiben. Ein eher symbolischer
Vergeltungsangriff Irans - auch wenn wir diesen natürlich ebenso verurteilen -
forderte wohl nicht zufällig keine Menschenleben. Und schon im Falle des JCPOA
war es Trump, der die USA einseitig aussteigen ließ, woraufhin der Iran ein
ganzes Jahr lang wartete, bis er seinerseits schrittweise begann, die Umsetzung
des Abkommens auszusetzen.
Das regionale Verhalten Irans, und z.B. seine aktive Rolle bei der Unterstützung
von Assads Unterdrückung und Kriegsverbrechen in Syrien, ist ohne Frage oft nur
zu verurteilen. Das gleiche gilt jedoch auch für andere regionale Akteure, die
für ihr Verhalten oft sehr viel weniger Kritik, bzw. gar Unterstützung, aus den
USA und Europa bekommen. Aktuelles Extrembeispiel ist der menschenverachtende
aktuelle Krieg einer Koalition unter saudischer Führung gegen vor allem die
Zivilbevölkerung Jemens. Kaum einer der wichtigsten Akteure in der Region ist
komplett unschuldig. Wir müssen ihr Verhalten differenziert beurteilen - wofür
wir aber dringend einheitlichere Standarts brauchen. Dies gilt auch für unsere
Verbündeten.
Der aktuelle regionale Konflikt ist vielschichtig und komplex, und Bedarf einer
detaillierten Auseinandersetzung, wie die BAG sie u.a. mit ihrem letzten BDK-
Antrag zum Iran zu leisten versucht hat. Dabei halten wir die vermutlich
illegale bzw. so oder so komplett verantwortungslose Tötung Soleimanis durch die
USA jedoch für einen weiteren klaren Kristallisationspunkt vieler schon länger
andauernden Fehlentwicklungen in der westlichen und speziell US-amerikanischen
Politik in der Region. Es wäre sträflich, den Fall jetzt nicht mit der gebotenen
Aufmerksamkeit und Dringlichkeit zu behandeln, nur weil - dieses Mal, bisher –
der leicht mögliche große Knall als Ergebnis ausblieb.
Der Umgang mit der Causa Soleimani ist ein weiteres dramatisches Beispiel dafür,
wie das zuhause täglich zur Schau gestellte mangelnde Rechts- und
Wahrheitsverständnis Trumps auf die internationale Politik durchschlägt. Doch so
verlockend es scheint, nur Trump für die gefährliche Überheblichkeit und
Kurzsichtigkeit aktueller US-Außenpolitik verantwortlich zu machen - real ist er
in vielem nur der sicht- und hörbarste Ausdruck von schon länger anhaltenden,
von mehreren Amtsvorgängern längst zu Strukturen verfestigten Trends. Sowohl
eine Abwahl Trumps dieses Jahr, als auch eine fundamental andere Außenpolitik
selbst für diesen Fall, scheinen alles andere als gesichert. Deshalb muss diese
Episode auch als ein weiterer von vielen krassen Anlässen zur fundamentalen
Neubewertung US-amerikanischer Außenpolitik, und unserer Beziehung zu ihr,
genommen werden.
Unsere Beziehungen zu den USA und den dort lebenden Menschen werden seit je her
als Elitenprojekt wahrgenommen, gedacht und geprägt von sog.
„Transatlantiker*innen“, als denjenigen, denen sie vermeintlich einzig wirklich
am Herzen liegen. Kritiker*innen von US-geführter Außen- und Militärpolitik wird
dagegen oft pauschal Antiamerkanismus vorgeworfen. Diese Erzählung lehnen wir
ab, und stellen ihr ab nun viel aktiver unsere eigene, von tiefer Verbundenheit
mit US-amerikanischer Zivilgesellschaft, sowie vielen Freund*innen und
Verwandten dort, entgegen: Zusammen mit ihnen streben wir eine miteinander
solidarische, aber jeweils schonungslose Neubewertung unseres gesamten
staatlichen, mal mehr, mal weniger gemeinsamen Handelns in der Welt an. Das wird
nicht einfach, aber es ist Grundvoraussetzung für einen nachhaltigen, weil
sinnvollen Bestand unserer transatlantischen Partnerschaft - im Sinne unserer
proklamierten Werte, und unseres gemeinsamen Ziels einer friedlicheren und
gerechteren Welt.
Maßnahmen:
Kurzfristig auf den Irankonflikt bzw. den Fall Soleimani bezogen fordern wir die
grüne Bundestagsfraktion und Parteiführung, sowie die deutsche Bundesregierung
dazu auf, sich für Folgendes entschieden einzusetzen:
- Die USA müssen aufgefordert werden, endlich Beweise vorzulegen für die als
Tötungsgrund angeführte direkte Involvierung Soleimanis in unmittelbar
bevorstehende Angriffe auf westliche Ziele. Können oder wollen sie dies
nicht, sind diese Tat als krimineller Akt einzustufen, und alle Wege der
eigenen Ermittlung und internationalen Strafverfolgung – so symbolisch
letztere real auch sein mag – zu beschreiten.
- Deutschland muss seine Haltung des blinden Vertrauens bzw. aktiven
Wegschauens bzgl. der möglichen Involvierung von hiesiger US-Infrastruktur
in die Tötung Soleimanis, aber davon ausgehend auch generell in die
Programme von massenhafter illegaler Hinrichtung Verdächtiger im real
immer noch andauernden sog. „Krieg gegen den Terror“, grundlegend
revidieren. Konsequenter Maßstab müssen deutsche und internationale
Rechtsgrundlagen sein.
- Von den USA sind belastbare Angaben zur tatsächlichen Nutzung all ihrer
Anlagen in Deutschland einzufordern, und wo dem offensichtlich nicht zu
trauen ist, diese selbst aktiv einzuholen bzw. zu überprüfen. Aktivitäten,
die – hier oder andernorts, militärisch oder nachrichtendienstlich –
fundamentale Menschenrechte oder internationales Recht verletzen, sind
schonungslos zu benennen und nicht mehr zu dulden.
- Deutschland und die EU müssen alles unternehmen, um weiter ihrerseits
ihren Verpflichtungen aus dem Nuklearabkommen mit dem Iran nachzukommen.
Dazu gehört vor allem, zur Not auch gegen die USA und unter Inkaufnahme
wirtschaftlicher Nachteile, Möglichkeiten des Handels mit dem Iran
deutlich zu stärken, da die dortige wirtschaftliche Krise nur den
Hardlinern hilft.
- Eine umfassende regionale Friedensinitiative unter Beteiligung aller
maßgeblicher Akteure ist anzustreben und mit allen Mitteln die Deutschland
und der EU zur Verfügung stehen zu unterstützen.
Mittelfristig und auf auf unsere Beziehungen zu den USA generell bezogen fordern
wir die grüne Bundestagsfraktion und Parteiführung, sowie die deutsche
Bundesregierung, außerdem dazu auf, anhand der u.g. Themen eine grundsätzliche
Überprüfung unserer Beziehungen zu den USA, sowie deren Rolle in der Welt,
vorzunehmen. Messlatten müssen dabei Demokratie und Menschenrechte,
Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, sowie deren effektive weltweite Förderung,
sein. Selbstverständlich müssen die Rollen Deutschlands und der EU, als
Unterstützer*innen von US-Politik, wie je auch selbst als Aktive, dabei jeweils
schonungslos mitbehandelt werden. Die BAG bietet hierzu ihre Mitarbeit an.
Einige Außenpolitische Themen hierfür, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
Die durch alle US-Regierungen seit 9/11 dramatisch überdehnte und zum
endlosen weltweiten „Krieg gegen den Terror“ missbrauchte Authorisierung
zur Gewaltanwendung durch den US-Kongress
Die bis heute nur lückenhaft aufgeklärten, nicht erkennbar geahndeten, und
unter Trump nun auch offen enttabuisierten US-Praktiken der Entführungen
und Folter. S. auch einen früheren BAG- und dann BDK-Beschluss dazu
Massive, weltweite Programme der außerrechtlichen Tötungen per Drohne,
deren Zahlen, auch an komplett unbeteiligten Zivilist*innen, unter Trump
nochmal deutlich steigen dürfte. S. auch einen früheren BAG- und dann BDK-
Beschluss dazu
Versuchte Massenüberwachung jeglicher Kommunikation
Drakonische, oft mit Rechtsstaatsprinzipien unvereinbare, teils
folterähnliche (oder potentiell Todes-) Strafen gegen viele, die sich
diesem System empfindlich entgegenstellen bzw. über es aufklären, s. Bsp.
Manning, Assange, Snowden,...
Ignorierung, Behinderung der Ächtung und Nichtverbreitung, sowie
profitreiche Verbreitung von diversen besonders grausamen oder
verheerender Waffen, z.B. Massenvernichtungswaffen, Uranmunition, Cluster-
Bomben, Weißer Phosphor, Landminen, div. automatisierte/autonome
Waffensysteme, schwer kontrollierbare Cyberwaffen,...
Teils dramatische Einschnitte bei Maßnahmen der realen Minderung
menschlichen Leids in Konflikt- und Armutsgebieten, sprich der Nothilfe
und Entwicklungszusammenarbeit
Weigerung, unserer gemeinsamen Fähigkeit (und oft auch schuldhafter Rolle)
gemäß Geflüchtete aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt aufzunehmen
Rassistische und sonstwie sozial krass ungleiche Innen- wie Außenpolitiken
auf beiden Seiten des Atlantiks
Kommentare
Dominik Reich:
1) Iran/Tötung Suleimanis
2) US-Militärbasen in DEU/Drohnen und
3) Transatlantische Beziehungen/DEU-USA-Verhältnis,
die alle eine intensive und eigenständige Behandlung verdienen und erfordern. Gerade zur (Neu-) Bewertung und Gestaltung der Transatlantischen Partnerschaft hat bisher noch kein umfassender Diskussionsprozess unter uns stattgefunden. Es würde uns gut anstehen hier einen ergebnissoffenen Prozess anzustoßen und uns über die nächsten Wochen und Monate dazu auszustauschen. Insofern verstehe ich diesen Teil nicht als verabschiedbaren Antrag, sondern als "food for thought".
Mit Blick auf Rammstein/Illegale völkerrechtswidrige Tötungen sowie Iran wäre es m. E. sehr hilfreich, wenn du uns das Rational hinter dem Antrag noch erläutern könntest. Mir erklärt sich hier der schnelle Handlungsbedarf durch die BAG nur zu teilen, BuVo und vor allem BT-Fraktion sind hier relativ klar und engagiert, siehe diverse Reden, PMS und Anträge.
Es gibt einen BT-Antrag vom 28.01 unter dem Titel "Im Konflikt zwischen den USA und Iran auf Deeskalation setzen, Krisendiplomatie verstärken und Bundeswehr aus dem Irak abziehen"
https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/168/1916847.pdf
Und auch die erneuerte Position zu Rammstein/Soleimani
https://www.gruene-bundestag.de/themen/sicherheitspolitik/ramstein-nicht-fuer-voelkerrechtswidrige-toetungen-nutzen
Charlotte Steinmetz:
Vor allem die Neuausrichtung der Transatlantischen Beziehungen (z.B. jenseits der NATO, "von unten", ...) wäre auf jeden Fall ein ganz eigenen, tiefgehenden Antrag wert - vor allem, wenn wir uns glaubhaft gegen den Vorwurf des Antiamerikanismus positionieren wollen.
Jan Schierkolk:
vielen Dank für Eure Kommentare. Dazu:
- Zur bemängelten Verbindung der drei Themen: So etwas halte ich für gängige politische (nicht: akademische) Praxis, wenn der inhaltliche Zusammenhang dafür ausreicht, und damit legitimen Positionen Kontext und Nachdruck verleiht werden kann. S. dazu auch die von Dir Dominik ja verlinkte Behandlung des Themas durch die Bundestagsfraktion, die mindestens auch eine Verbindung zwischen den Themen Soleimani und Ramstein herstellt.
Das in seiner Deutlichkeit neue hier ist, dies explizit zu einem weiteren Anlass zu nehmen, sich über die transatlantische Sicherheitskooperation etc. generell Gedanken zu machen, sowie einige unterschiedliche Nuancen in der Bewertung der Iran-Krise.
- Ich stimme Euch zu, wenn Ihr sagt, dass ein so wichtiges und umfassendes Projekt wie die (explizit NICHT anti-amerikanische!) Neuvermessung der sog. transatlantischen Beziehungen ein umfangreiches Vorhaben ist, welches eingehender Behandlung bedarf. Deshalb vermeidet der Antrag was das angeht bewusst auch detaillierte Vorfestlegungen, sondern zählt am Ende (nichtmal mit Anspruch auf Vollständigkeit) einige dafür relevante Faktoren auf, und bietet die weitere Mitarbeit der BAG hierzu an. Interesse hieran soll über den Antrag auch anderen Stellen in der Partei signalisiert werden.
Was mir dazu vorschwebt, und was Ihr noch nicht wissen konntet, ist, dann u.a. hierfür eine Unter-Arbeitsgruppe einzusetzen. Vielleicht etwas, woran Ihr mitarbeiten möchtet?
Liebe Grüße, und bis morgen in Mainz hoffentlich,
Jan
Tabitha Elkins: